Annika Nitsch
Regisseurin

La Traviata

Guiseppe Verdi

Konzept von Annika Nitsch und Elena Köhler


Verdis 1853 uraufgeführte Oper »La Traviata«, gehört zu den meistgespielten Opern weltweit. Sie basiert auf einer wahren Begebenheit und erzählt die ergreifende Geschichte der todkranken, gleichwohl lebenshungrigen Pariser Halbweltdame Violetta Valéry, die mit Alfredo Germont ihre große Liebe findet, ihrem frivolen Dasein entsagt – und doch auf ihn verzichten muss, weil die rigide Doppelmoral der Gesellschaft einer Kurtisane zwar als Gespielin, nicht aber als Frau an der Seite eines  Ehrenmannes duldet. Die in der Oper von Guiseppe Verdi als Violetta Valéry betitelte Hauptfigur basiert auf der realen Kurtisane Rose Alphonsine Plessis (15.Januar 1824 – 3.Februar 1847), welche im Roman »La Dame aux Camelias« von Alexandre Dumas der Jüngere als Marguerite Gautier verewigt wurde. An einem Beispiel wird deutlich, wie es wahrscheinlich vielen jungen Mädchen in Paris des 19. Jahrhundert erging. In unserer Interpretation von »La Traviata« zeigen wir eine Frau, die, wie viele andere Frauen vor ihr, von der Gesellschaft und ihrer Doppelmoral der Zeit kein Verständnis zu erwarten hat. Obwohl sie ihrem Schicksal ausgeliefert ist, bleibt sie stets voller Hoffnung auf Liebe und verglüht am Ende als Sternschnuppe am Pariser Nachthimmel.

 

Die gesamte Oper spielt auf einer weißen quadratischen Platte, eine Oberfläche, die leicht angeschrägt ist um den sozialen Abstieg zu zeigen und gleichzeitig verschiedene Räume im Leben Violettas symbolisiert.
Durch verschiedene soziale Umstände ist die unverdorbene Violetta in eine scheinheilige, oberflächliche,  missgünstige Welt geraten -  die sogenannte Pariser Halbwelt, die wie gewissenslose, genussorientierte Raubtiere Menschen zu ihrem eigenen Vergnügen verbrauchen, und sie wegwerfen, wenn sie nicht mehr funktionieren.
Aus diesem Grund hängen im 1.Akt, sichtbar für das Publikum im Schnürboden, leere Kleider und tote Mädchen symbolisch für die Seelen von Kurtisanen, die nach dem Gebrauch weggeworfen wurden und nun als Dekoration für ein weiteres Fest dienen.
In dieser Halbwelt gibt es zwei Parteien. Einmal die Gesellschaft der Männer, welche auf der einen Seite liebenswürdige Ehemänner sind, auf der anderen ein vergnügliches Leben mit Kurtisanen gegen materielle Leistungen führen. Die Frauen der Männer tolerieren dies ohne es in Frage zu stellen und bieten somit eine Plattform der Scheinheiligkeit. Die andere Partei sind die Kurtisanen, die auf der einen Seite gesellschaftlich in dieser Halbwelt akzeptiert und geschätzt werden, auf der anderen Seite einen absolut existenziellen Abstieg in der sozialen Gesellschaft erfahren. Die Chorherren, sowie Marchese, Barone Douphol, Gastone und der Dottore Grenvil werden Männer sein, die sowohl eine Vorder – und eine Rückseite haben, um diese Doppelmoral der Gesellschaft zu zeigen. Der Damenchor und Flora sind  Kurtisanen mit großen Kleidern an denen jede Menge Schmuck und Uhren hängen, die von Männern als Bezahlung an sie angebracht wurden. Ist man einmal in diese Welt geraten, ist es als Frau schwer wieder heraus zu kommen und, vor allem von Männern,  sozial anerkannt zu werden. Es entsteht ein Teufelskreis aus dem man als Kurtisane nicht mehr entkommen kann. In diesen Teufelskreis gerät auch Violetta, ohne das Ausmaß zu erahnen. Sie ist eine Entertainerin die trotz Krankheit funktioniert. Durch Rausch und kurzlebigen Luxus versucht sie sich von der ausweglosen Situation zu betäuben und tauscht ihr Leben gegen echtes, bescheidenes, langfristiges Glück. Die Rolle der Kurtisane, für die sie sich entschieden hat, muss sie zwangsweise bis zum Ende spielen – die Gesellschaft brandmarkt sie. Sie legt ihr ein Kleid bzw. ein Korsett an, aus dem sie sich nicht selbst befreien kann, welches aber immer mehr zu zerfallen droht – auch durch die immer schlimmer werdende Krankheit. Zu Beginn wickeln die Chorherren und toleranten Ehefrauen Violetta in ein grünes Kleid ein, welches sich nicht von den anderen Kurtisanen unterscheidet,  um zu zeigen, dass sie die Halbwelt erschaffen und Violetta in ihr gefangen halten. Die Farbe Grün, die sich durch die gesamte Oper ziehen wird, symbolisiert die Hoffnung auf Liebe, die Violetta nicht aufgibt.
In die hoffnungslose Halbwelt tritt Alfredo, ein junger Mann, der sich unsterblich in sie verliebt. Er ist der einzige Mann der sich während eines Zusammenbruchs um sie kümmert. Alfredo gibt ihr als einziger das Gefühl von Hoffnung und Liebe, und keinen materiellen, greifbaren Gegenstand.


 

 

Da das Libretto häufig von erblühen spricht und die literarische Vorlage auf dem Buch »La Dame aux Camelias« basiert, werden Kamelien eine wichtige Rolle spielen und in jedem Akt auftauchen. Überreicht ein Mann einer Dame eine weiße Kamelie, drückt er damit seine Hochachtung und Bewunderung aus und zeigt, dass er die Partnerin fürs Leben gefunden hat. In unserer Inszenierung gibt erst Violetta Alfredo mehrere Kamelien, die vorher vom Chor verstreut worden, als Zeichen, dass er wiederkommen darf. Alfredo löst das Gefühl der Hoffnung nach Liebe in ihr aus. Sie verlässt die Halbwelt, um ein bürgerliches Leben mit ihm auf dem Lande zu verbringen. Um dies zu verdeutlichen, zieht sie ihr grünes Kleid, welches ihr von der Gesellschaft angelegt wurde, aus und versucht so dieser zu entkommen.
Im 2.Akt ist, im selben grün wie Violettas Kleid zuvor, der Boden mit einem Tuch ausgelegt auf dem lauter Kamelien liegen. Es symbolisiert das glückliche Landleben mit Alfredo. Die toten Mädchen und Kleider sieht man jetzt nur noch als Schatten, welche als Wolken am Himmel sind. Eine Schaukel zeigt das perfekte Glück und die frische „kindliche Liebe“ zwischen Alfredo und Violetta. In dieses Leben tritt Vater Germont und bittet Violetta Alfredo zu verlassen, damit seine Schwester ein ehrbares Leben führen kann.
Das grüne Tuch, welches nur sehr lose auf der Bühne liegt, bekommt durch den Besuch Germonts erste Falten, die Violetta versucht zu glätten. Irgendwann muss sie jedoch einsehen, dass ihre Vergangenheit sie einholt und das Tuch nicht zu retten ist. Sie opfert sich nach langem hin und her überlegen um sich rein zu waschen und entscheidet, Alfredo zu verlassen. Sie tauscht damit zwei Leben gegen eines ein und nimmt in Kauf, die letzten Lebensmonate in Einsamkeit zu verbringen, anstatt das greifbare Glück zu Leben. Sie entschließt sich das Tuch vollständig einzusammeln und verschwindet mit diesem zurück in die Halbwelt.


 

 

Dort angekommen geht das ganze Spiel, ohne Rücksicht auf Gefühle zu nehmen, von vorne los und verläuft wie gehabt. Es gibt optisch keinen Unterschied zum 1.Akt. Die weiße Plattform stellt diesmal einen Raum auf Floras Fest dar, die, wie Violetta, eine Kurtisane von vielen ist. Auch die Kleider und Mädchen im Schnürboden hängen erneut präsent im Bühnenraum.
Violetta erscheint, und trägt ein neues grünes Kleid, welches sie sich scheinbar aus dem Bodentuch vom Landbild geschneidert hat. Dies zeigt, dass die Hoffnung  erstmal verloren ist und ihre Liebe in der Zukunft, durch die gelebte Vergangenheit, nicht stattfinden kann.
Alfredo kehrt zurück und will Rache dafür, dass Violetta ihn verlassen hat. Mit seinem größten Feind, dem Baron und gleichzeitig Hauptgönner von Violetta, spielt er um sie das Spiel seines Lebens. Als Spielfläche dient dabei Violetta selbst, um zu zeigen wie gefühlskalt und erniedrigend die Halbwelt gegenüber Frauen ist und immer bleiben wird. Alfredo verliert Violetta und bezahlt sie zur Strafe mit Uhren, Schmuck und Geld aus. Er bewegt sich dabei auf der Ebene der anderen Männer, indem er Violetta den Schmuck in den „Rachen“ steckt und ans Kleid heftet. In diesem Moment erscheint Germont und ermahnt seinen Sohn, der jetzt mit Violetta quitt ist. Im großen Finale am Ende des zweiten Aktes findet Alfredo in seiner Tasche eine vertrocknete Kamelie, die er von Violetta im 1.Akt bekommen hat und übergibt sie ihr als Zeichen für die Liebe, die er immer noch empfindet. Violetta nimmt sie glücklich an. In diesem Moment greift Germont ein, nimmt die Blume und lässt sie zerbröseln als Zeichen dafür, dass die Liebe nicht stattfinden darf.


 

 

Violetta zieht sich nach dieser Demütigung völlig erschöpft zurück, denn sie weiß, dass sie keine Zukunft mehr hat. Sie liegt im 3.Akt auf der Platte, bedeckt mit einem grünen Tuch, welches in den Abgrund hängt. Sie betrachtet in ihrer Arie die aufleuchtenden Kleider, nimmt von ihrer Vergangenheit Abschied und hofft durch ihr Opfer in  den Himmel aufgenommen zu werden. Alfredo erscheint, um Violetta zu verzeihen, da er nun von seinem Vater die ganze Geschichte weiß und welches Opfer sie gebracht hat. Für kurze Zeit vergisst sie ihre Krankheit und schließt sich seinen Plänen für eine glückliche Zukunft an. Um dies zu symbolisieren bringt Alfredo einen kleinen Blumentopf mit einem frisch erblühenden Kamelienstrauch mit, sowie man bei der Geburt eines Kindes einen Baum pflanzt. Das zerknüllte Tuch, das als Decke für die geschwächte Traviata diente, wird von beiden zusammen neu ausgebreitet, sowie es im Landbild zu sehen war, um voller Glück in die gemeinsame Zukunft zu gehen.


 

Tatsächlich fühlt Violetta ihre alten Kräfte zurückkommen; sie erhebt sich – und stirbt. Sie entschwebt nach oben zu den anderen Kleidern und Mädchen, zu Gott, da sie sich reingewaschen hat. Sie ist nun eine weitere Seele von Kurtisanen die nach ihrem Gebrauch weggeworfen wird und als Sternschnuppe am Pariser Nachthimmel verglüht.






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